Kommunikation verbindet – im Bundesrat wie in der Berufsbildung
Bern, 18.11.2025 — Rede an der Herbsttagung der Berufsbildung
Sehr geehrte Frau Staatssekretärin
Mesdames et Messieurs
Gentili Signore e Signori
Sehr geehrte Damen und Herren
Es ist mir eine grosse Freude, heute hier vor Ihnen zu stehen – bei Menschen, die tagtäglich Berufsbildung «machen», nicht nur darüber sprechen. Ich kann Ihnen versichern: Ich freue mich nicht gleichermassen über jede Einladung, wie über diese hier – heute bin ich sozusagen «unter Kolleginnen und Kollegen».
Denn ich stehe nicht nur als Bundeskanzler vor Ihnen, sondern auch als ehemaliger Kochlernender, aber auch als ehemalige Lehrperson für Wirtschaft und Recht und als Rektor einer Kaufmännischen Berufsfachschule.
Es ist zwar schon über 40 Jahre her, aber ich sage oft und gerne: Drei der prägendsten Jahre meines Berufslebens verbrachte ich in der Küche.
In der Küche habe ich früh gelernt, was Teamwork und Verantwortung heisst. Kaum irgendwo wird so schonungslos sichtbar, wie wichtig jedes Mitglied des Teams ist: vom Küchenchef bis zum Casserollier, von der Spüle bis zum Service. Wenn eine Station nicht funktioniert, merken es am Schluss alle – vor allem die Gäste.
Die Küche ist ein hochverdichtetes Netzwerk: Bestellungen, Abläufe, Handgriffe, Blicke. In einer guten Brigade genügt ein kurzer Ruf, manchmal nur ein Blick – und alle wissen, was zu tun ist. Kommunikation ist da kein separater Akt, sie ist die unsichtbare Infrastruktur, die alles zusammenhält.
Während meiner Lehrzeit gab es für mich einen besonders eindrücklichen Moment: Im zweiten Lehrjahr durfte ich – 16-jährig und schaurig nervös – für Bundesrätin Elisabeth Kopp im Landsitz Lohn kochen. Ich konnte damals wohl weder alle Bundesräte aufzählen noch wusste ich, dass es überhaupt einen Bundeskanzler gibt. Aber mein Chef traute mir zu, diese Aufgabe zu übernehmen – ohne grosses Brimborium, aber mit grossem Vertrauen.
Diese Erfahrung begleitet mich bis heute und ich stelle Tag für Tag fest: Junge Menschen können Verantwortung übernehmen – wenn man ihnen vertraut und mit ihnen spricht, nicht nur über sie.
Die Kommunikation in der Lernumgebung «Küche» war – sagen wir – direkt. Für lange Erklärungen blieb selten Zeit. Manchmal flogen auch Gegenstände durch die Küche – das war dann die nonverbale Variante der «deutlichen Rückmeldung». Aber klar war immer: Alle müssen einander verstehen und am gleichen Strick ziehen.
Im Rückblick würde ich sagen: Dieses Küchennetzwerk war meine erste Ausbildung in Kommunikationskultur.
Und schon dort galt ein Prinzip, das für die Berufsbildung und den Bundesrat gleichermassen gilt: Gute Kommunikation funktioniert nur auf der Basis von Vertrauen.
Vertrauen ist – wie wir alle wissen – schnell gefordert, aber langsam gewachsen. Es ist wie in der Landwirtschaft: Kein Bauer sät am Abend, um am nächsten Morgen zu ernten. Wer Vertrauen will, muss säen, pflegen, giessen – und die Witterung ertragen. Vertrauen aufbauen ist – zuweilen harte – Beziehungsarbeit, nicht simples Tagesgeschäft.
Genau deswegen passt ihr Tagungsthema «Kommunikation in Netzwerken» so gut: Netzwerke halten nur, wenn Vertrauen die Netzwerkknoten zusammenhält. Das gilt
- in der Küche
- in der Berufsbildung
- in der Bundesverwaltung
und – ich kann es bestätigen – auch im Bundesrat.
Und dabei spielt auch das einander zuhören, eine zentrale Rolle. Epiktet, der Stoiker, hat es auf seine Art auf den Punkt gebracht: «Die Natur hat dem Menschen eine Zunge gegeben und zwei Ohren, damit wir doppelt so viel hören, wie wir sprechen.»
In Netzwerken ist Zuhören keine Höflichkeit, sondern eine Schlüsselkompetenz. Wer nicht zuhört, kann nicht verstehen; wer nicht versteht, kann kein Vertrauen aufbauen.
Mesdames et Messieurs
Quand j’observe la formation professionnelle aujourd’hui, je vois un impressionnant réseau composé :
- de personnes en formation qui font leurs premiers pas dans la vie professionnelle,
- de formateurs dans les entreprises,
- d’enseignants dans les écoles professionnelles,
- d’entités responsables des cours interentreprises,
- d’organisations du monde du travail,
- et, enfin, des cantons et la Confédération.
L’article 1 de la loi fédérale sur la formation professionnelle l’énonce clairement : « La formation professionnelle est la tâche commune de la Confédération, des cantons et des organisations du monde du travail ». Par « commune », on veut dire, d’un côté, un objectif partagé, de l’autre, des perspectives différentes et, entre les deux, une bonne dose de communication.
Je l’ai vécu très concrètement, à l’époque où j’étais directeur de l’École professionnelle commerciale de Bienne (aujourd’hui la BFB), lorsque j’ai pu accompagner un grand processus de transformation qui a abouti à de nouvelles professions, à un nouveau site et à un nouveau nom. Une illustration classique du principe selon lequel tout est en mutation. Sans communication franche et précoce, tant en interne qu’en externe, nous n’y serions pas parvenus.
Il a fallu :
- des conceptions communes de l’objectif que nous voulions atteindre,
- des discussions franches sur ce que cela signifie concrètement,
- et beaucoup de patience pour sauvegarder la confiance là où l’incertitude était inévitable.
Accompagner le changement en communiquant avec franchise peut instaurer la confiance, même si toutes les questions ne trouvent pas de réponses d’emblée.
Je vous suis reconnaissant d’assumer cette responsabilité commune en tant que partenaires travaillant en réseau.
Mesdames et Messieurs
Les jeunes d’aujourd’hui grandissent dans un monde où la polarisation, la désinformation et l’intelligence artificielle façonnent davantage le quotidien que ce n’était le cas à l’époque où j’ai fait mon apprentissage. En ce temps-là, on ne parlait pas de désinformation ou d’intelligence artificielle. Dans le monde actuel, la formation professionnelle est bien plus qu’une simple qualification professionnelle : c’est aussi un système d’orientation. Car, faut-il le rappeler :
- la polarisation signifie que l’on parle souvent les uns des autres plutôt que les uns avec les autres
- la désinformation signifie que tout ce qui fait du bruit n’est pas forcément vrai
- et l’intelligence artificielle signifie que nous devons savoir avec encore plus de précision ce que nous considérons comme vrai et pourquoi.
La formation professionnelle joue elle aussi un rôle important à cet égard, car elle peut aider les jeunes à faire la distinction entre les opinions et les faits, à assumer des responsabilités et à trouver leurs repères dans des réseaux complexes. Par conséquent, elle assume en quelque sorte une mission au service de la démocratie.
Damit komme ich zum Teil meiner Rede, auf welchen Sie schon lange warten: Die Kommunikation im Bundesrat.
Wenn Sie Ihr Verbundsystem der Berufsbildung anschauen, sehen Sie:
· gemeinsame Verantwortung,
· klare Rollen,
· viele Interessen,
· und ein einziger, geteilter Erfolg – oder Misserfolg.
Diese Struktur ist dem Bundesrat gar nicht so unähnlich. Das Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz hält fest: Für die Wahrnehmung der Regierungsfunktionen ist der Bundesrat als Kollegium verantwortlich. Er entscheidet gemeinsam, er trägt die Verantwortung gemeinsam – und er kommuniziert nach aussen als Einheit.
Nun, ich bin zwar kein Bundesrat, habe aber als Bundeskanzler den schöneren Posten – und bin vertraut mit dem Gremium und seiner Funktionsweise. Und kann daher hier im kleinen Kreis im Kursaal etwas aus der Schule plaudern:
Es überrascht Sie kaum, dass die Funktionsfähigkeit eines solchen Kollegiums ganz wesentlich auch von seiner Kommunikationskultur abhängt. Und dabei dürften drei Aspekte zentral sein, welche auch mein Vorgänger (Walter Thurnherr) in seinem vor kurzem erschienenen Buch thematisiert:
1. Man kann eine falsche Politik nicht mit guter Kommunikation retten.
Wenn die Sache nicht stimmt, hilft keine wohlformulierte Medienmitteilung. Kommunikation kann nicht Entscheide «reparieren», die politisch oder sachlich nicht tragen.
2. Kommunikation, die die Öffentlichkeit überrumpelt, geht schief.
Wenn der Bundesrat bei heiklen Geschäften nur die letzte Etappe kommuniziert («Wir haben entschieden»), ohne vorher über Probleme und Optionen zu informieren, fühlt sich die Öffentlichkeit überfahren. Besser ist: zuerst das Problem benennen, dann Optionen skizzieren, erst dann den Entscheid verkünden – ein Prinzip, das Sie aus Ihren eigenen Projekten bestens kennen.
3. Das Vertrauen, das eine Regierung in der Krise braucht, kann sie nicht erst in der Krise aufbauen.
Vertrauen entsteht vorher – in ruhigen Zeiten, wenn man sorgfältig informiert, Fehler zugibt und Partner ernst nimmt. Von diesem Vertrauenskapital kann (oder muss) in Krisen häufig gezehrt werden. Und muss dann wieder aufgebaut werden.
Pour que ce système collégial fonctionne, il faut aussi disposer en interne d’un processus de prise des décisions clairement défini :
- Tout d’abord, la consultation des offices, au cours de laquelle les unités administratives examinent une affaire.
- Ensuite, la procédure de co-rapport, au cours de laquelle les autres départements prennent position par écrit.
- Et – enfin seulement – les délibérations au sein du Conseil fédéral, lesquelles aboutissent à une décision commune.
Ce processus n’est pas public – et c’est très bien ainsi. Ce n’est que si les membres du Conseil fédéral peuvent avoir la certitude que leurs discussions franches ne quitteront pas les murs de leur salle de réunion qu’ils pourront exprimer des positions divergentes et défendre finalement une décision commune. Car il n’y a pas de fiabilité en externe sans confidentialité en interne.
Aber am Ende gilt das Kollegialitätsprinzip: Der Bundesrat kommuniziert nach aussen eine einheitliche Linie – auch dort, wo im Innern hart gerungen wurde. Gerade in Krisen ist diese Kommunikationskultur besonders wichtig.
Und insbesondere in schwierigen Momenten (Krisen) stärkt es die Regierung, wenn sie Parlament, Kantone und betroffene Kreise frühzeitig einbezieht und den Dialog aufrecht erhält – gerade dann, wenn die Lage unsicher ist und nicht alle Antworten bereitstehen.
Auch hier sehen Sie die Parallele zur Berufsbildung: Wenn Sie als Verbundpartner sich gegenseitig spät oder unvollständig informieren, leidet das Vertrauen – und damit die Akzeptanz der Entscheidungen.
Ich komme zum Schluss:
Wenn ich meine berufliche Reise anschaue – vom Koch über die Berufsbildung in die Bundeskanzlei – dann sehe ich einen roten Faden: Kommunikation verbindet. Sie verbindet Lernende mit Betrieben, Schulen mit Unternehmen, Verbundpartner mit Politik – und sie verbindet im besten Fall auch die Bevölkerung mit unserer Regierung.
Drei Gedanken möchte ich Ihnen – zusammenfassend zum Gesagten – zum Schluss mitgeben:
1. Vertrauen ist die Währung der Kommunikation.
Es entsteht langsam, es kann schnell verspielt werden – und es wächst, wenn wir transparent bleiben, zuhören und Fehler zugeben.
2. Netzwerke brauchen Pflege.
Ob Berufsbildungsverbund oder Bundesrat: Gute Prozesse allein genügen nicht. Es braucht Menschen, die bereit sind, sich in der Sache zu streiten – und sich im Respekt zu begegnen.
3. Zuhören ist die anspruchsvollste Form von Kommunikation.
Oder nochmals mit Epiktet: Wir haben zwei Ohren und nur eine Zunge – vielleicht, damit wir in unseren Netzwerken doppelt so viel zuhören, wie wir reden.
Geschätzte Anwesende, ich danke Ihnen für Ihr grosses Engagement für die Berufsbildung, für Ihre Geduld in häufig komplexen Abstimmungsprozessen und für Ihre Bereitschaft, immer wieder Brücken zu bauen – zwischen Generationen, zwischen Praxis und Theorie, zwischen Wirtschaft, Politik und Gesellschaft.
Kommunikation verbindet – im Bundesrat wie in der Berufsbildung.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
